Ohne Assistenz ist Taubblindheit wie Hausarrest – Karl-Erich Kreuter berichtet aus eigener Betroffenheit

Karl-Erich Kreuter

Karl-Erich Kreuter beim Lormen.

„Ohne ausreichende Assistenz ist Taubblindheit wie Hausarrest“, stellt Karl-Erich Kreuter fest. Der ehemalige Beamte im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) ist mit 34 Jahren ertaubt.
Mit 52 Jahren ist er dann zusätzlich auch noch erblindet. Seither lebt er bei seiner Schwester in Antrifttal. Dort erhält Kreuter die notwendige Unterstützung, wenngleich er möglichst viele Alltagsverrichtungen im Haushalt selbständig erledigt.
Regelmäßig besucht Kreuter die Taubblindentreffen der Blindenbund-Bezirksgruppe Marburg. Dort tauschen sich Hör-Sehbehinderte aus der Marburger Region untereinander über ihre persönliche Situation und über Alltagstipps aus.
In dieser Gruppe ist Kreuter der Einzige, der überhaupt nichts hören kann. Alle anderen besitzen ein Resthörvermögen, das ihnen mit Hilfe von Hörgeräten noch eine akustische Kommunikation ermöglicht.
Will man mit Kreuter kommunizieren, muss man ihm Fragen oder Aussagen „lormen“. Jeder einzelne Buchstabe wird dem Taubblinden dabei durch eine Berührung an jeweils unterschiedlichen Stellen seiner Hand angezeigt.
Das Gespräch durch Buchstabieren jedes einzelnen Worts nach dem Lorm-Alphabet ist überaus mühselig. Kreuter bestätigt jedes Wort, das er verstanden hat, indem er es ausspricht.
Da er nicht gehörlos geboren wurde, klingt seine Sprache ganz normal. Allerdings reagiert er nicht, wenn man in seine Rede hineinspricht oder ihm ein visuelles oder akustisches Zeichen gibt. Lediglich körperliche Signale nimmt er wahr.
„Es gibt zuwenig Assistenzkräfte“, klagt Kreuter. „Sie müssen ihre Ausbildung teilweise selbst finanzieren und werden oft auch zu schlecht bezahlt. Leben können sie von ihrer Arbeit nur, wenn sie für Assistenzleistungen im Rahmen der Eingliederungshilfe bezahlt werden.“
Doch selbst die Bewilligung eines solchen Antrags ist noch lange keine Gewähr dafür, dass ein Taubblinder die erforderliche Assistenz erhält. Kreuter bringt die Mangelsituation mit einem Vergleich auf den Punkt: „Was nützt Ihnen eine Baugenehmigung, wenn Sie keinen Maurer finden?“
Taubblinde aus ganz Deutschland fordern deshalb eine Verbesserung ihrer Situation. Im Schwerbehindertenausweis soll ihre Behinderung mit dem Merkzeichen „Tbl“ gekennzeichnet werden.
„Taubblindheit ist nicht die Summe von Blindheit und Gehörlosigkeit“, erklärt Kreuter. „Es ist eine ganz eigene Behinderung. Beide Beeinträchtigungen potenzieren sich dabei, weil man die Eine nicht durch die Andere ausgleichen kann.“
Ihre Forderungen wollen Taubblinde am Freitag (4. Oktober) mit einer großen Demonstration in Berlin sichtbar machen. Die Protestaktion vor dem Reichstag wird die erste Taubblinden-Demo der Welt werden.
„Normalerweise sind wir im Alltag unsichtbar“, erklärt Kreuter. „Schließlich können wir uns ja kaum selbständig bewegen.“
Wird ein Blinder durch die Stadt geführt, kann seine Begleitperson ihm Hindernisse auf dem Weg beschreiben und ihn akustisch davor warnen. Einem Taubblinden muss man alle Hindernisse durch Bewegungen anzeigen. „Notfalls muss meine Assistentin auch stehenbleiben und mir die Situation lormen“, erklärt Kreuter.
Bordsteinkanten zeigt ihm seine Begleitperson durch kurzes Stehenbleiben oder Anheben der Schulter an. Vor Treppen legt sie seine Hand auf ihre Schulter.
Kommunikation mit anderen Menschen pflegt Kreuter vor allem über das Internet. Computer mit Braillezeile können Taubblinden den Bildschirminhalt über das Punktschriftalphabet übermitteln. Kleine Metallstifte heben sich aus einer Tastleiste heraus oder versinken darin und stellen so die tastbaren Schriftzeichen des Braille-Alphabets dar.
Bekanntschaften pflegt Kreuter über zwei Chats im Internet. Sie wurden speziell für taubblinde Menschen eingerichtet.
„Minas Homepage“ findet man unter http://tbl-telefon.de/minas_homepage/. Es handelt sich um die private Homepage einer Hör-Sehbehinderten, die mit dieser Seite das Knüpfen und Pflegen von Kontakten ermöglichen will. Der Chat ist daher dort die wichtigste Sache.
Man findet ihn, wenn man im Navigator auf „Chatofon“ klickt. Registrierung ist nicht erforderlich. „Wir treffen uns dort jeden Donnerstag um 20 Uhr“, berichtet Kreuter.
Auf Minas Seite findet man auch das animierte Lorm-Alphabet zum selber Lernen. Der Link dazu ist http://tbl-telefon.de/minas_homepage/lormen.php.
Daneben gibt es noch einen Chat auf der Seite der „Stiftung taubblind leben“. Der direkte Link zum Chat ist http://www.stiftung-taubblind-leben.de/index.php?option=com_content&view=article&id=4&Itemid=45.
„Für diesen Chat ist eine Registrierung erforderlich“, erklärt Kreuter. „Wir treffen uns dort jeden Montag um 20 Uhr.“
Beide Chats sind aber rund um die Uhr geöffnet. Jeder kann sich dort mit jedem zu jeder beliebigen Zeit treffen. Auch Nichtbehinderte sind willkommen.
Angesichts der Schwierigkeiten bei der Suche nach Assistenz sind die Chats für viele Taubblinde die wichtigste Kontaktmöglichkeit zu anderen Menschen. Deshalb empfiehlt Kreuter jedem, der von Taubblindheit bedroht ist, neben dem Erlernen des Lorm-Alphabets und der Brailleschrift auch die Anschaffung eines Computers mit Internetanschluss.

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