Mensch und Maschine: Demokratie beginnt bei der Barrierefreiheit

Maschinen unterdrücken die Menschen in mancherlei Science-Fiction-Romanen oder Horrorfilmen. Auf weniger spektakuläre Weise ist das aber auch in Deutschland leider längst Alltag.
Ein Anruf bei vielen Firmen erfolgt über Telefonanlagen mit Tonwahl. Beim anschließenden Kundengespräch sollen die Anrufenden Kundennummer, Auftragsnummer und andere Daten bereit halten. Wer nicht lesen kann, ist dann schnell draußen.
Bei der Deutschen Post kommen Anrufende nur über Spracheingabe weiter. Wer nicht deutlich sprechen kann, ist da schnell draußen.
Viele Internetseiten enthalten Formulare, die nicht barrierefrei bedienbar sind. Auch die Steueerung vieler Webseiten ist nicht wirklich barrierefrei. An wichtige Informationen kommen Behinderte deswegen oft gar nicht heran.
Zu Beginn der Impfkampagne gegen das Coronavirus war die Anmeldung zu Impfterminen nur über das Internet möglich. Gerade die priorisierten vulnerablen Hochbetagten kommen mit derartigen Formularen aber nicht zurecht. Manche Menschen fragten sich, was sich die Entwickler dieser nicht bedienbaren Website dabei gedacht hatten oder ob sie überhaupt nachgedacht hatten.
Fitter war da jedoch die Stadt Marburg. Sie „erfand“ nicht nur die ehrenamtliche „Corona-Hilfe“, sondern auch sogenannte „Impflotsen“, die bei der Anmeldung zu Impfterminen behilflich waren. Erreichbar waren sie über eine Telefonnummer bei der Stadt ohne jegliche Tasten- oder Sprachsteuerung.
Im Verlauf der Corona-Pandemie setzten Firmen und Behörden auf eine vorherige Terminvergabe. Sie erfolgte in der Regel aber über das Internet. Viele Menschen waren damit wieder mal ausgegrenzt.
„Die Technik muss den Menschen dienen und nicht die Menschen der Technik“, lautet ein altbekannter Leitspruch der Ingenieurskunst. Viele Entwickler jedoch haben keinerlei Gespür für Menschen, denen der Draht zur Technik völlig fehlt. Wer Tag für Tag vor dem Rechner sitzt, kann sich offenbar kaum einfühlen in Hochbetagte, die noch vor der Erfindung des ersten Rechners von Konrad Zuse geboren wurden.
Mehr als zwölf Millionen Menschen in Deutschland sind behindert. Mindestens zwei bis eher drei Millionen sind sogar mehrfachbehindert. Sie kommen in der Technikentwicklung wie auch im Alltag kaum vor.
Barrierefreiheit muss jedoch gerade sie in den Blick nehmen. Wer Millionen Mitmenschen ausgrenzt, der offenbart damit ein elitäres Verständnis von Demokratie, das letztlich nicht bis zum Ende durchdacht ist. Denn gerade am Lebensende summieren sich Behinderungen oftmals und erschweren den Betroffenen das Leben, das dann nicht noch zusätzlich durch menschenfeindliche Technik behindert werden darf.

* Franz-Josef Hanke

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