„Inklusion“ ist inzwischen fast schon ein Modewort geworden. Schließlich bringt es die Grundlage jeder wirklichen Demokratie ganz knapp auf den Punkt: Alle Menschen müssen gleich behandelt werden, unabhängig von ihren Fähigkeiten, ihrer wirtschaftlichen oder sozialen Stellung in der Gesellschaft, ihrer Herkunft, ihrer Krankheiten oder ihrer Behinderung!
Selbstverständlich ist die Forderung nach Inklusion daher absolut richtig, doch muss man zugleich auch die Schattenseiten erörtern, die mit Hilfe des Postulats der Einbeziehung aller Menschen in alle gesellschaftlichen Strukturen drohen: Mit Verweis auf eine – angeblich – inklusive Ausrichtung von Einrichtungen werden vielerorts die Mittel für Spezialeinrichtungen gekürzt oder den Behindrten die notwendigen Hilfen verweigert.
Deshalb beginnt die Forderung nach „Inklusion“ mit dem Aufruf zu einer differenzierten Darstellung dessen, was die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben bedeutet: Sie bedingt Nachteilsausgleiche für all diejenigen, die erst durch solche Hilfen auf Augenhöhe am Alltagsleben und der Nutzung öffentlicher Einrichtungen teilnehmen können. Sie bedingt Rücksicht und Solidarität aller mit allen.
Eine dergestalt differenzierte Darsteellung ist in den Medien des beginnenden 21. Jahrhunderts leider aber kaum möglich. Deswegen lautet die erste Forderung nach einer Verwirklichung von Inklusion, dass die Berücksichtigung der individuellen Vielfalt des Lebens Eingang finden muss in die Berichterstattung.
Üblich in bundesdeutschen sind zur Zeit vier verschiedene Arten einer Darstellung von Behinderten. Fast jede Berichterstattung folgt – mehr oder weniger ausgeprägt – einem dieser vier Grundmuster.
Der „Supber-Behinderte“ kann fast alles. Souverän gleicht er selbst alle Nachteile seiner Behinderung aus. Letztlich ist seine „Stärke“ zu bewundern.
Der „arme Behinderte“ ist das glatte Gegenteil. Er bedarf der Hilfe und des Mitleids der Mitmenschen. Im Vordergrund dieser Darstellung steht die „Schwäche“ dieser – spätestens wegen einer solchen Darstellungsweise – bedauernswürdigen Person.
Der „idealtypische Behinderte“ passt genau in das Bild, das die jeweilige Behinderung beim Betrachter auslöst. Er wird in ein Klischee eingezwängt, das seine Einordnung in vorgefertigte Schubladen ebenso erlaubt wie das Öffnen von Schubladen beim Umgang mit Behinderten. Was dieser eine Behinderte kann, das müssen nach Meinung der jeweiligen Betrachter auch alle anderen Menschen mit der gleichen Behinderung können.
Der „individuelle Behinderte“ ist leider die seltenste Darstellungsweise in den Medien. Er hat „Stärken“ und „Schwächen“, benötigt hier Hilfe und dort nicht; und er passt in kein Klischee hinein. Eben deswegen bereitet er der Berichterstattung im Rahmen von Zeitdruck und Platzmangel auch erhebliche Schwierigkeiten.
Genau diese Darstellung aber wäre wichtig, wenn das Wort „Inklusion“ richtig verwirklicht würde. Ebenso wie alle anderen Menschen sind schließlich auch Behinderte Individuen, die letztlich erst nach intensiverem Kennenlernen richtig zu erkennen sind.
Weitgehend unberücksichtigt bleiben – selbst bei den Verbänden der Selbsthilfe von Behinderten – die vielen mehrfach Behinderten. Angesichts der demografischen Entwicklung, medizinischer Fortschritte bei der Beseitigung bestimmter Behinderungsursachen und der Alterspyramide der betroffenen Bevölkerungsgruppe dürfte der Anteil der mehrfach Behinderten hier bei 20 bis 30 Prozent liegen. Hier muss dringend nachjustiert werden.
Zwangsläufig geht die Selbsthilfe von eigenen Erfahrungen der Aktiven aus. Das kann auch gar nicht anders gehen. Aber sie müssen sich klar machen, dass sie ihre eigenen positiven Fertigkeiten nicht zur Messlatte für alle anderen machen dürfen!
Das Gegenteil von Vielfalt ist Einfalt. Bei den völlig unterschiedlichen Bedürfnissen von Behinderten an die Umwelt bedingt deren barrierefreie Ausgestaltung die Ausrichtung an den „Schwächsten“, den „Letzten“ und vor allem an Menschen mit gleich mehreren Beeinträchtigungen.
Um diese Gesichtspunkte auch in Medien zu verankern, bedarf es einer Mitwirkung von Behinderten in möglichst vielen Redaktionen. Wer Behinderte kennt, mag zwar immer noch von ihnen auf alle anderen schließen, doch hat er wenigstens schon einmal einen Zugang zum Thema. Je mehr unterschiedliche Behinderte aber bei den verschiedenen Medien arbeiten, desto vielfältiger und damit individueller wird auch die Wahrnehmung des Themas „Behinderung“.
„Inklusion“ wäre hier auch auf anderer Ebene hilfreich: Wer von Kindesbeinen an mit Behinderten umgegangen ist, betrachtet sie viel eher als Individuum als jemand, dem bestimmte Behinderungen noch nie begegnet sind.
Ein weiterer Schlüssel zur Teilhabe von Behinderten am öffentlichen Diskurs sind Möglichkeiten der Publikation im Internet über eigene Websites oder Blogs. Hier kann jeder ganz ungefiltert seine eigene Sicht auf das Leben mit Behinderung wie auch auf alle anderen Themen des Alltags oder der Politik einbringen.
Bei der öffentlichen Wahrnehmung haben die audiovisuellen Medien natürlich eine größere Breitenwirkung als derartige Veröffentlichungen. Deswegen sollte man auch vrsuchen, als Berichterstatter wie auch als Betroffener Eingang in diese Medien zu finden.
Noch wichtiger fast ist aber auch die Mitwirkung bei Presseagenturen, bestimmen sie doch den Nachrichtenwert und die Darstellung aktueller Themen. Damit haben sie eine entscheidende Schlüsselfunktion innerhalb der Medienlandschaft inne.
Wer „Inklusion“ ernst nimmt, der muss auch gerade Dienste wie die Deutsche Presseagentur (DPA) und zumindest die Öffentlich-Rechtlichen Rundfunkanstalten dazu auffordern, Nachrichten möglichst weitgehend und generell überall in leichter Sprache zu veröffentlichen. Selbst Nichtbehinderte haben oft Schwierigkeiten, dem – mittlerweile oft recht geschliffenen – Jargon der aktuellen Nachrichten in Radio und Fernsehen, aber auch in Tageszeitungen noch zu folgen.
Die Debatte über Verständlichkeit wie auch über die Darstellung der Auswwirkungen politischer Entscheidungen oder anderer aktueller Ereignisse innerhalb der Zunft der Journalisten ist zwar schon sehr alt; sie hat bisher aber noch nicht wirklich zum gewünschten Erfolg geführt. Mit der Untermauerung dieses Anspruchs durch das Recht aller Menschen auf „Inklusion“ wäre hier vielleicht ein neuer ansatzhebel für Verbesserungen.
In jedem Fall sollten alle Behinderten sich bewusst machen, dass Kürze und Knappheit der Darstellungen in den meisten Medien fast alle Themen zu schemenhaften Abziehbildern verstümmeln. Widrige Arbeitsbedingungen tun hier ein Übriges.
Mehr als zwei Drittel aller deutschen Journalisten arbeiten freiberuflich. Selten werden sie nach dem Aufwand ihrer Recherche honoriert; vielmehr erhalten sie in der Regel sehr niedrige Zeilenhonorare. Um wirtschaftlich zu überleben, müssen sie den Aufwand für ihre Artikel streng in Grenzen halten.
Das beinhaltet auch die Notwendigkeit, sich häufig auf fremde Quellen zu berufen. Neben der DPA sind das in großem Maße auch Pressemitteilungen von Behörden, Firmen, Verbänden und Vereinen. Zwei Drittel aller Publikationen stützen sich inzwischen schon auf solche – oft sehr professionell betriebene – Pressearbeit.
Hier müssen auch die Behindertenorganisationen mitspielen. Die meisten Verbände haben die Bedeutung dieses Arbeitsgebiets bereits erkannt und in ihre Schwerpunktsetzung mit einbezogen.
Pädagogische Ansätze für einen möglichst selbstbestimmten Umgang Behinderter mit Medien werden sich wohl großenteils auf allgemeine Herangehensweisen stützen. Noch mehr als für andere mag hier aber der Rat zu einer Einbeziehung autonomer Publikationen Betroffener in Blogs gelten.
Schließlich ist sicherlich auch die Schwierigkeit zu berücksichtigen, dass insbesondere Menschen mit Sinnesbeeinträchtigungen oft eigene Zugangswege benötigen. Zwar sind Audiodeskription und Gebärdensprache inzwischen schon weiter verbreitet als früher, doch mangelt es hier gewiss noch an vielen weiteren Angeboten.
Am Ende bleibt die Hoffnung, dass auch Menschen mit Geistiger Behinderung noch die notwendigen Zugänge finden. Ob mit Hilfe von Pictogrammen oder vorgelesenem Text in leichter Sprache, ob durch begleitende Erklärungen Dritter oder gar in eigenen Diskussionsgruppen zu aktuellen Ereignissen –
dem Einfallsreichtum der Betroffenen wie auch ihrer Unterstützer und Verbände seien da keine Grenzen gesetzt.